Kartelle haben einen schlechten Ruf. In der Regel werden Kartelle als Strukturen verstanden, die von Produzenten zu dem Zweck gebildet werden, ihre Kunden auszunehmen. Genauer wird ein Kartell regelmässig als Vereinbarung zwischen Produzenten definiert, die dem Ziel dient, eine Monopolmacht zu erlangen. Damit soll den Käufern ein höherer als der Wettbewerbspreis abgeknüpft werden.
Der Grund für Preisabsprachen
Wenn mehrere Produzenten desselben Guts in einem Wettbewerb zueinander stehen, dann werden sie dazu ermuntert, ihre Preise zu reduzieren, so dass sie je einen ausreichenden Marktanteil erlangen können. Laut der klassischen ökonomischen Theorie des Wettbewerbs senken die Produzenten im Wettbewerb ihre Preise bis zu dem Punkt, an dem ihr Grenzgewinn Null beträgt. Dies ist der optimale Punkt für die Käufer, denn bei einem niedrigeren Preis wäre die Produktion für die Anbieter finanziell nicht mehr tragbar – sie würden Verluste verbuchen und die Produktion schliesslich einstellen. Ein höherer Preis wäre für den Käufer natürlich nachteilig, dieser wird jedoch durch den Wettbewerb ohnehin verunmöglicht.
Diese schöne Welt einer Wettbewerbsordnung wird nun immer dann gefährdet, wenn die Produzenten die Möglichkeit haben, durch Absprachen den Wettbewerbsdruck zu reduzieren. Im Falle einer Abstimmung wären sie gemeinschaftlich in der Lage, den Verkaufspreis der vertriebenen Gütermenge zu erhöhen. Allerdings müssten sie zugleich vereinbaren, ihre Produkte nicht mehr zu differenzieren, denn unterschiedliche Produktmerkmale lassen von neuem jenen Wettbewerb entstehen, der durch die Preisabsprache ja beseitigt werden soll.
In einem solchen Fall der Preisabsprache verhalten sich die Produzenten — obgleich formell getrennt — wie ein Monopolist. Kartellgesetze zielen traditionell genau auf diese Art der wettbewerbsreduzierenden oder -beseitigenden Absprache ab.
Das Kartell wird von innen und aussen gefährdet
Wie relevant ist aber diese theoretische Vorstellung eines Kartells in der Praxis? Es kann sehr einfach festgestellt werden, dass ein auf Preisabsprachen beruhendes Kartell instabil ist. Genau genommen beinhaltet es einen inhärenten Widerspruch: Die Gesamtheit der beteiligten Produzenten haben ein Interesse daran, die gemeinsame Produktionsmenge zu begrenzen, und so ihre Verkaufspreise zu erhöhen. Dies soll den Gewinn maximieren. Innerhalb des Kartells hat jedoch jeder Produzent ein Interesse, seinen Marktanteil auf Kosten der jeweils anderen auszuweiten. Eine Ausweitung der Produktionsmenge erzeugt aber stets Druck auf die Kosten. Das Kartell droht dauernd zu implodieren.
Hinzu kommt, dass ein Kartell jederzeit durch den Markteintritt eines neuen Produzenten in Frage gestellt werden kann. Indem das Kartell den Verkaufspreis über den Wettbewerbspreis anhebt, erzeugt es eine Gewinnopportunität. Diese stellt einen starken Anreiz dar, den betreffenden Markt mit einem neuen Angebot zu bedienen. Ohne Schutz nach Aussen ist das langfristige Überleben eines Kartells darum nahezu unmöglich.
Die beste politische Antwort auf die Gefahr einer Kartellbildung ist darum nicht, Gesetze zu erlassen, die Regulierungen etablieren, um Kartelle zu verfolgen und zu verbieten, sondern den freien Markteintritt für alle Anbieter sicherzustellen. Dies würde vor allem eine vollständige Liberalisierung des Aussenhandels bedeuten.
Der Wettbewerb als Instrument der Differenzierung
Wir können jedoch noch einen Schritt weitergehen, und uns fragen, ob Absprachen unter Anbietern — jenseits der theoretischen Definition des Kartells — aus Sicht der Konsumenten nicht möglicherweise sogar Vorteile haben kann? Hierfür müssen wir auf die Grundlagen unserer Überlegungen zurückkommen: Wenn ein freier Wettbewerb herrscht, das heisst wenn es einfach für Produzenten und Kunden ist, einen Markt zu betreten, dann bemüht sich jeder Produzent, Käufer anzulocken. Das heisst, der Produzent versucht die Bedürfnisse seiner Kunden besser zu befriedigen, als sein Wettbewerber, sei es durch bessere Preise oder Produktmerkmale. Der Wettbewerb hat somit den gewaltigen Vorteil, das Angebot zu differenzieren und so besser an die vielfältigen und veränderlichen Wünsche der Käufer anzupassen.
Der von den Käufern gewünschte Differenzierungsgrad des Angebots ist aber nicht für alle Güter und Dienstleistungen gleich gross. So werden die Konsumenten vermutlich ein breites Angebot an Schuhen unterschiedlichster Modelle zu schätzen wissen. Eine ebenso grosse Vielfalt beispielsweise an Währungen oder Telekommunikationsdienstleistungen werden dagegen eher nicht gewünscht sein. Angebote mit so genannten Netzwerkeffekten (der Nutzen steigt mit der Anzahl der Nutzer) weisen wohl die geringste «Differenzierungsnachfrage» auf. In solchen Segmenten können sich monopolartige Angebotsstrukturen herausbilden, schlicht weil es aus Sicht der Kunden nicht optimal ist, eine grosse Anzahl von Produzenten zu erhalten.
Bedürfnisbefriedigung durch Koordination der Produzenten
Genau hier bietet die Absprache ein alternatives Lösungsmodell. Denn eine Absprache kann als Koordinationsvereinbarung zwischen verschiedenen Produzenten den Grad der Produktdifferenzierung auf ein Niveau reduzieren, das den Bedürfnissen der Konsumenten wirklich entspricht, ohne zu einer tatsächlichen Monopolisierung zu führen. Offensichtlich hat die Koordination von Angeboten Vorteile für Produzenten, denn sie erlaubt die Realisierung von Skaleneffekten, also die Kostensenkung durch Standardisierung der Produktion. Damit erhält eine Vielzahl von Produzenten ihre Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft.
Doch warum sollte eine solche Koordination auch dem Käufer nutzen? Indem sie Komplexität reduziert. Im Falle einer Vielzahl von Währungsproduzenten ermöglichen beispielsweise Konvertierbarkeitsvereinbarungen den Gebrauch der Währungszeichen aller Mitglieder einer solchen Absprache. Fluggesellschaften, die in der IATA vereint sind, sind dank ihrer Absprachen in der Lage, gewissen Kunden standardisierte Dienstleistungen anbieten (z.B. übertragbare Tickets oder gleichartige Preise). Auch im Fall der Automobilhersteller ermöglichen erst Absprachen den Einsatz gemeinsamer Plattformen, auf deren Basis Karosserien und Einrichtungen differenziert werden. Eine dynamische Wirtschaft erfordert flexible Produktionsarchitekturen — Absprachen können dazu beitragen, dass eine Vielzahl von Anbietern ihre Wettbewerbsfähigkeit erhält und dabei Preise und Komplexität für Konsumenten senkt.
Eine nicht nur unnötige, sondern gefährliche Gesetzgebung
Das freie Spiel von Angebot und Nachfrage regt die Beteiligten zu einer ständig verbesserten Anpassung der Produktion an die Bedürfnisse der Kunden an. Diese Bedürfnisse können ein mehr oder weniger ausgeprägtes Mass der Angebotsdifferenzierung umfassen. Die Absprache und Koordination von Produzenten ist ein geeignetes Mittel, um das Angebot der tatsächlichen Nachfrage anzunähern. Wenn sie nicht durch Kartellgesetze verboten ist. So kommen wir zu dem Schluss, dass Kartellgesetze nicht nur überflüssig sind — Kartelle sind ohnehin stets von Innen wie Aussen bedroht und daher inhärent instabil —, sie sind immer wieder sogar schädlich. Im Dienste des Konsumenten sollte darum vor allem die Wirtschaftsfreiheit konsequent respektiert und der Marktzugang freigemacht werden. Die Regulierung und das Verbot von Kartellen führen dagegen auf einen Irrweg.
Pascal Salin ist emeritierter Professor der Ökonomie an der Universität Paris-Dauphine.