Der Finanzausgleich fördere den nationalen Zusammenhalt und sorge dafür, dass sich der Wohlstand nicht zu sehr konzentriere, wird behauptet. Dabei wird jedoch Wesentliches ausser Acht gelassen.
Mit dem Nationalen Finanzausgleich der Schweiz sollen die Unterschiede in der finanziellen Leistungsfähigkeit der kantonalen Staaten gemildert werden: Das ist die offizielle Logik hinter dieser Umverteilung. Ein solches System wird generell als unabdingbare Begleitmassnahme eines föderalen Staatsaufbaus angesehen, wobei es in der Schweiz erst 1959 systematisiert wurde – mehr als 110 Jahre nach der Gründung des Bundesstaats. Obwohl die Zahlungen vom Bund und von den «finanzstarken» Kantonen im Durchschnitt rund 10 Prozent der kantonalen Steuereinnahmen betragen und damit einen eher symbolpolitisch-psychologischen Charakter einzunehmen scheinen, sind die Beträge (5,3 Milliarden Franken im Jahr 2020) für die wenigen zahlenden Kantone sowie für die grössten Empfänger beträchtlich.
Hinzu kommt, dass der Finanzausgleich untrennbar von den weiteren finanziellen Verflechtungen zwischen Bund und Kantonen ist: So erhalten die Kantone 21,2 Prozent ihrer Einnahmen aus der direkten Bundessteuer. Trotz einer Reform des Finanzausgleichs 2008 werden politisch laufend neue Zentralisierungen vorgenommen, die erneute Aufgabenentflechtungen nötig machen – insbesondere im Gesundheitswesen. So belaufen sich aktuell alle Transfereinnahmen der Kantone auf über 30 Prozent der Gesamteinnahmen – dreimal mehr als aus dem Finanzausgleich. Damit wird deren Autonomie tendenziell ausgehöhlt. Die Prinzipien der Bürgernähe und der fiskalischen Äquivalenz in einem föderalen Staat sprechen vielmehr für einen bewusst begrenzten Zentralstaat und einer verbindlichen Zuteilung innenpolitischer Bereiche an die Kantone.
Der Systemfehler des Finanzausgleichs offenbart sich in der Tatsache, dass die Umverteilung automatisch jedes Jahr vollzogen wird, unabhängig von der Entwicklung der Gegebenheiten oder der punktuellen Bedürfnisse. Somit werden Gelder an alle Empfängerkantone ausgeschüttet, als ob es sich um permanente Entwicklungsländer handelte. Dagegen werden die sieben «finanzstarken» Kantone für ihre ausgesprochen gut entwickelte Wirtschaftsstruktur (Basel-Stadt, Genf, Zürich) oder ihre wettbewerbsfähige Politik (Zug, Schwyz, Nidwalden, Obwalden) bestraft.
Für die beiden grössten Empfänger der Ausgleichszahlungen – die Kantone Bern (1,1 Milliarden Franken) und Wallis (759 Millionen Franken) – ist diese Umverteilung ein unter Kantonalpolitikern offen zugegebener Grund, weshalb die Steuersätze unverändert hoch belassen werden. Damit kann die Wertschöpfung in der Wirtschaft weiterhin niedrig und der Fluss an erhaltenen Transfergelder gesichert werden. So besteuern Bern und das Wallis Unternehmensgewinne mit dem schweizweit höchsten Satz von 21,6 Prozent, was fast doppelt so viel ist wie im Kanton Zug (11,9 Prozent) und weit über dem Landesdurchschnitt von 15 Prozent. Obwohl Bern und das Wallis eine hohe Lebensqualität aufweisen und für ihre erstklassigen Bergferienorte bekannt sind, sind ein grosser Teil der Staatsausgaben von der Wirtschaftskraft anderer Kantone abhängig. Dieses durch die Subventionsmaschinerie ermöglichte Parasitentum ist nicht nur moralisch fragwürdig, sondern erschwert auch das freie Unternehmertum in den Nehmerstaaten. Zwischen den Kantonen vergrössert dies die Disparitäten und schmälert den Wohlstand.
Der interkantonale Ressourcenausgleich wird zwar aus der Perspektive des Politmarketings raffiniert verkauft, ist aber eindeutig pseudowissenschaftlich. Keine Region in der Schweiz ist auf Umverteilung angewiesen, um gut zu gedeihen. Vielmehr soll jede Gebietskörperschaft ihre komparativen Vorteile ausspielen können. So kann auch ein winziges, geographisch scheinbar isoliertes Land wie Liechtenstein ohne internationale Umverteilung in hohem Masse prosperieren. Gerade für Bergkantone, die natürlich nicht nur aus Bergen bestehen, wäre eine Differenzierung durch politische Innovationen in Bezug auf die Standortqualität und der Steuerbelastung besonders lohnenswert. Doch stattdessen werden politische Lethargie und wirtschaftliche Rückständigkeit belohnt – zum Schaden aller.
Kantone werden auch aufgrund ihrer Höhenlage, der Steilheit des Geländes oder ihrer spezifischen Besiedlungsstruktur durch einen bundesfinanzierten «geografisch-topografischen Lastenausgleich» subventioniert. Niemand wird aber gezwungen, in den abgelegtesten Alpentälern oder im Hochgebirge zu wohnen, wenn die entsprechende Infrastruktur unfinanzierbar ist. Die Topographie wäre aber für die Tourismus- und Energieindustrie unter normalen Bedingungen keine Last, sondern ein Segen. Gerade die Tourismusindustrie in den Bergen wird geschwächt, wenn unternehmerische Fehlanreize in Form von Subventionen und Überbesteuerung entstehen. Dies gilt ebenfalls für Kantone, die durch ihre Bevölkerungsstruktur oder Zentrumsfunktion am «soziodemografischen Lastenausgleich» teilhaben: Die Umverteilung reizt dazu an, an einer verfehlten Standortpolitik festzuhalten, die gute Steuerzahler abschreckt. Erst damit entstehen die bemängelten Ungleichgewichte, zumal Wirtschaftszentren andere wesentliche Vorteile aufweisen.
Der Anpassungsdruck, sich zu verbessern, sinkt ebenfalls für die Nehmerkantone im Mittelfeld. Der Finanzausgleich fördert damit tendenziell die finanzielle Verantwortungslosigkeit in der Politik und legt den Fokus auf das Ergattern grösstmöglicher Subventionen, statt auf Anstrengungen, ein möglichst gutes Preis-Leistungsverhältnis für die Ansiedlung neuer Bewohner und die Entstehung und Entwicklung von lokalen Firmen anzubieten.
Der aktuelle Finanzausgleich entspricht nicht einem echten Bedürfnis, sondern einer überholten etatistischen Umverteilungsideologie. Seine Unwirksamkeit in Hinblick auf die Zielsetzung sowie seine Nachteile für politische Rahmenbedingungen sind klar belegt. Genauso wie bei Drogenabhängigen mag eine Entzugstherapie für die grössten Empfängerkantone vorerst schwierig sein. Sie würde aber zu einem Anstieg der Lebensstandards, der Wirtschaftskraft und damit der Einkommen im ganzen Land führen und käme damit insbesondere der Bevölkerung in den subventionierten Kantonen zugute. Wohlstand ist keine feste Grösse, die zwischen einigen wenigen Wirtschaftszentren unterteilt werden soll, sondern wird erst durch freies Unternehmertum geschaffen und gemehrt.
Der Finanzausgleich – wie auch weitere Alibiübungen der Regionalpolitik, mit denen gewisse Projekte durch den Bund finanziert werden – macht die Besten schlechter und die Schlechten nicht besser. Vielmehr fördert er ein kontraproduktives Sonderinteressen-Lobbying in Bundesbern. Die ansässige Bevölkerung verliert mittelfristig immer, weil durch falsche Anreize weniger Wertschöpfung entsteht, die bessere Beschäftigungsoptionen, Produktivitäts- und Lohnerhöhungen sowie weitere Steuersenkungen ermöglichen würde.
Ohne interkantonale oder bundesinduzierte Umverteilung und mit einer konsequenten Aufgabenentflechtung würde eine Angleichung nach dem Vorbild der besseren Praktiken und damit ein Gleichgewicht zwischen den Regionen auf «natürliche» Weise stattfinden – durch den politischen Wettbewerb und die bewusste Nutzung komparativer Vorteile. So würden unternehmerische Handlungsspielräume in und zwischen den Kantonen wiederhergestellt.