Der Begriff «libertär» ist in aller Munde. Journalisten verwenden ihn ständig, verwechseln aber oft Begriffe, die unterschieden werden sollten. Eine Klarstellung drängt sich auf.
Javier Milei, der argentinische Präsident? Ist er ein Liberaler, ja ein Ultraliberaler oder gar ein Anarchokapitalist, und dennoch konservativ, sogar ultrakonservativ oder rechtsextrem, und darüber hinaus populistisch.
Elon Musk? Ein bekennender Libertärer, der als rechtsextrem, sogar als faschistisch oder nationalsozialistisch eingestuft wird: Der reichste Mann der Welt, dem Donald Trump, das Paradebeispiel des Populismus, zugetan ist und mit dem er daher verwechselt wird.
Das vernehmen wir seit Monaten im Fernsehen oder Radio oder lesen es in der Presse. Aber seit Neuestem wird der Begriff «libertär» auch in allen möglichen Schattierungen verwendet, um die «Tech»-Milliardäre zu beschreiben.
Ich halte es daher für notwendig, über die Bedeutung dreier Begriffe aufzuklären, die allzu oft miteinander verwechselt werden: Liberalismus, Libertarismus, Anarcho-Kapitalismus.
Einige methodische Vorabklärungen
Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass Begriffe gedankliche Konstrukte sind. Konservatismus, Kommunismus oder Sozialismus existieren in der Natur nicht. Intellektuelle haben darüber nachgedacht, um Wörtern mehr oder weniger präzise Bedeutungen zu geben. In der Geschichte des Denkens entstanden Adjektive meist vor den Substantiven. So ist «liberal» ein alter Begriff, der zu einem unbestimmten Zeitpunkt, am Ende des 18. Jahrhunderts oder vielmehr am Anfang des 19., zu einem «Ismus» wurde und eine Ideologie (im neutralen Sinne des Wortes, und nicht in dem Sinne, den Hannah Arendt dem Totalitarismus gab) oder eine Doktrin, also ein kohärentes Denksystem, kennzeichnet.
Wenn ein Begriff in der Ideengeschichte verwendet wird, muss man daher genau wissen, was er abdeckt. Die Autoren sind sich jedoch nie ganz einig über eine Definition. Vor allem aber können sie ein Wort verwenden, ohne sich mit seiner Bedeutung auseinanderzusetzen. Und, was noch schlimmer ist: Autoren, vor allem Politiker und Journalisten, können Wörter pervertieren, ob absichtlich oder nicht.
Das Beispiel «Neoliberalismus»
Nehmen wir ein konkretes Beispiel: den Begriff «Neoliberalismus». Nur wenige Liberale machen ihn sich zu eigen. Er wird jedoch häufig verwendet, entweder auf wissenschaftliche Weise, wobei es dem Autor überlassen bleibt, seine Bedeutung zu bestimmen, oder auf eindeutig polemische Weise. So ist etwa die Rede vom «Neoliberalismus von Friedrich Hayek», dem grossen österreichischen Liberalen, oder von der «neoliberalen Politik von Emmanuel Macron».
In Wirklichkeit bezieht sich «Neoliberalismus» auf deutsche und französische Doktrinen, die in der Zwischenkriegszeit konstruiert wurden, sich während der Walter-Lippmann-Konferenz 1938 in Paris festigten und nach dem Krieg auf beiden Seiten des Rheins mit dem deutschen Ordoliberalismus, der sich je nach Autor erheblich unterscheidet, und dem französischen Neoliberalismus weiterentwickelt wurden.
Der Neoliberalismus steht in direktem Gegensatz zum klassischen Liberalismus. Der klassische Liberalismus macht den Neoliberalismus z.B. für die Wirtschaftskrisen der späten 1920er und frühen 1930er Jahre verantwortlich. Der Neoliberalismus befürwortet einen mehr oder weniger starken staatlichen Interventionismus, im Allgemeinen eher mehr als weniger. Damit sind wir weit entfernt von den Grundsätzen des Liberalismus.
Liberalismus
Unser kürzlich verstorbener Freund Jacques Garello sprach vom «magischen Viereck», das den Liberalismus charakterisiere: Freiheit, Verantwortung, Eigentum und Menschenwürde. In unserem Buch Exception française (Odile Jacob, 2020) vertreten wir die Ansicht, dass ein Autor nur dann als liberal bezeichnet werden kann, wenn er die folgenden vier Merkmale untrennbar miteinander verbindet: Individualismus, Eigentum, Trennung von Zivilgesellschaft und Staat sowie Freihandel. Von einem Liberalen zu sprechen, der für einen mehr oder weniger starken Protektionismus wäre, ist daher unserer Meinung nach Unsinn. Von einem Liberalen zu sprechen, der für einen Staat plädiert, der über den Schutz der Eigentumsrechte hinaus tätig wird, ist ebenso unbegründet.
Natürlich behaupten wir nicht, die Wahrheit zu besitzen, aber wir glauben, dass diese Merkmale es zumindest ermöglichen zu verstehen, wer ein Liberaler ist und wer es nicht ist. Unter diesem Gesichtspunkt werden wir auch die Begriffe «Libertarismus» und «Anarchokapitalismus» beurteilen.
Was ist Libertarismus?
Der Begriff «Libertarismus» (engl. Libertarianism) klingt für einen französischsprachigen Menschen nicht unbedingt angenehm. Es handelt sich um eine Wortschöpfung, die in angelsächsischen Ländern aus einem ganz bestimmten Grund geprägt wurde. Jeder, der sich mit der englischen oder amerikanischen Politik auskennt, weiss, dass der Begriff liberal nicht seiner kontinentaleuropäischen Bedeutung entspricht. Das liegt daran, dass mehrere Autoren, auf der anderen Seite des Ärmelkanals und dann auf der anderen Seite des Atlantiks, das Wort übernommen und ihm eine neue Bedeutung gegeben haben; die Liberalen würden sagen: sie haben den Begriff pervertiert. Liberalismus bedeutet heute im angelsächsischen Sprachgebrauch eine Doktrin der staatlichen Intervention, und leider hat sich diese Bedeutung allmählich durchgesetzt.
Die Anhänger des klassischen Liberalismus mussten daher einen anderen Begriff finden. Der Ausdruck «klassischer Liberalismus» hätte es vielleicht getroffen, aber er schien wenig vielversprechend und in den Augen einiger Autoren nicht mit ihren Ideen übereinzustimmen, die nicht mehr ganz dem Liberalismus des 19. oder sogar des 18. Jahrhunderts entsprachen. Hayek fragt sich in seinem wichtigen Werk «Die Verfassung der Freiheit» von 1960, welches Wort er verwenden soll. Er lehnte das Wort «libertär» ab, das er für künstlich und unelegant hielt, und bezeichnete sich selbst als «old Whig», ein Ausdruck aus der britischen politischen Ideengeschichte, der bei Liberalen nicht sehr beliebt war.
Aber das Wort «Libertarianism» hat sich inzwischen in den Vereinigten Staaten weitgehend durchgesetzt. Es entspricht dem Kanon eines erneuerten klassischen Liberalismus und basiert vor allem auf einem begrenzten, ja sogar sehr begrenzten Staat. Obwohl sie das Wort ebenfalls ablehnte, gehört die Philosophin und Schriftstellerin Ayn Rand, eine Bewunderin des klassischen Liberalismus und heute bei «Tech»-Milliardären hoch angesehen, zu dieser Tradition. Dasselbe gilt unter anderem für den Philosophen Robert Nozick, den Verfechter des sogenannten Minimalstaats. Die Nuancen unter libertären Ideen sind vielfältig, je nachdem, welche Rolle dem Staat genau zugewiesen werden, aber sie bleiben jedenfalls bestehen.
Was ist Anarcho-Kapitalismus?
Wie der Name schon sagt, ist der Anarchokapitalismus das Ergebnis einer konzeptionellen Mischung. Sein Verkünder, der amerikanische Ökonom Murray Rothbard, ist der Ansicht, dass ein Staat keine Legitimität besitzt und dass eine anarchistische Gesellschaft sich selbst reguliert, also ohne das Eingreifen einer öffentlichen Behörde auskommt.
Für Rothbard ist das bahnbrechende Werk des Anarchokapitalismus ein Artikel von Gustave de Molinari, der 1849 im Journal des Economistes unter dem bezeichnenden Titel «Über die Herstellung von Sicherheit» veröffentlicht wurde. Interessanterweise hatte die Veröffentlichung dieses Artikels eine Debatte unter den Liberalen der Gesellschaft für Politische Ökonomie ausgelöst, die alle die Ansichten des französischsprachigen Belgiers ablehnten, angeführt vom grossen Ökonomen Frédéric Bastiat.
Für Anarchokapitalisten ist die liberale Vorstellung eines «begrenzten Staates» eine Illusion, da es sich aus ihrer Sicht als unmöglich erweist, die Macht des Staates zu begrenzen. Anarchokapitalisten sind in verschiedene Fraktionen gespalten. Dabei ist zu erwähnen, dass die historisch frühesten Konzepte des Anarchismus im Gegensatz zu den Anhängern Rothbards stehen, weil Rothbard seinen Anarchismus auf Basis von Eigentum begründete. Auch stehen die frühesten Konzepte im Gegensatz zu jenen von David Friedman, dem Sohn von Milton Friedman, der auf einer utilitaristischen Basis steht (wir verweisen auf unseren Artikel über Hans-Hermann Hoppe, einem Schüler Rothbards, der am 23. Oktober 2023 im Journal des Libertés veröffentlicht wurde und frei zugänglich ist).
Wenn wir auf die Merkmale des Liberalismus zurückkommen, wie sie hier dargelegt wurden, ist klar, dass sich die Anarchokapitalisten in mindestens einem Punkt von ihnen unterscheiden: das Verschwinden der Trennung zwischen Zivilgesellschaft und Staat, aus dem einfachen Grund, dass es keinen Staat mehr gibt…
Fazit
Im Wesentlichen kann «Libertarianism» als die angelsächsische Form des Liberalismus verstanden werden, wie er in Kontinentaleuropa verstanden wird, mit vielen Nuancen, die von den Autoren und Denkströmungen abhängen. Andererseits bilden die Anarchokapitalisten einen vom Liberalismus losgelösten Zweig, der in den Anarchismus mündet.
Der argentinische Präsident Javier Milei ist ein bekennender Anhänger des Anarchokapitalismus, obwohl er paradoxerweise das Staatsoberhaupt ist. Elon Musk ist ein bekennender Anhänger des Libertarismus. Donald Trump ist ein Opportunist, ein pragmatischer Politiker und ein Populist, der per definitionem weder liberal noch libertär ist, geschweige denn anarchokapitalistisch.
Jean-Philippe Feldman
Aus dem Französischen übersetzt mit Deepl, mit Korrekturen von Robert Nef und Olivier Kessler, mit freundliche Genehmigung des Autors.