Die Schweizer Stimmbevölkerung hat einer weiteren Umverteilungsübung im krankgewordenen Gesundheitswesen glücklicherweise eine Abfuhr erteilt. Doch damit ist das Problem des enormen Kostenanstiegs im Gesundheitswesen der Schweiz natürlich alles andere als gelöst.
Was es jetzt braucht ist nicht eine Einheitskasse. Diese Lösung für unser – schon jetzt weitgehend sozialistisch organisiertes – Gesundheitswesen fordern nur jene, deren Politik wir das heutige Schlamassel bereits zu verdanken haben. Vielmehr ist eine Rückbesinnung auf marktwirtschaftliche Ansätze angebracht.
Die Rechnung zahlen Dritte
Ein entscheidender Schritt, der uns von einem kranken zu einem nachhaltigen Gesundheitswesen führen würde, wäre die Abschaffung des Krankenkassenzwangs. Die im Zuge des seit 1996 schweizweit geltenden Krankenkassenobligatoriums verschärfte Kollektivierung des Gesundheitswesens führt zu einer Aushöhlung des Prinzips der Selbstverantwortung.
Hier haben nicht die Behandelten oder ihre freiwillig abgeschlossenen Versicherungen die wahren Kosten zu tragen. Vielmehr werden Drittzahler dazu gezwungen. Kosten für Behandlungen können so auf die Allgemeinheit abgeschoben werden, weshalb es zu einem übermässigen Konsum von Gesundheitsleistungen kommt.
Die Anreize, seiner eigenen Gesundheit Sorge zu tragen, sind in einem System der erzwungenen Kostenüberwälzung geringer: Allfällige Kosten für Therapien, die sich aus dem Versäumnis von vorbeugenden Massnahmen ergeben, müssen nicht nur zu einem kleinen Teil selbst getragen werden.
Bei der Einführung des Krankenkassenzwangs 1996 wurden «erst» 45 Prozent der Gesundheitskosten durch obligatorische Krankenkassen und Steuern finanziert. Im Jahr 2021 waren es bereits 59 Prozent. Zwar sind im gleichen Zeitraum inflationsbereinigt auch die Pro-Kopf-Selbstzahlungen pro Jahr von 1’700 auf 2’200 Franken gestiegen, doch ihr Anteil an den Gesamtkosten ist stark abnehmend.
Die Lösung heisst: mehr Markt
Nur ein marktwirtschaftliches Gesundheitssystem, das auf Eigentumsrechten, Wettbewerb, Vertragsfreiheit und Eigenverantwortung aufbaut, vermag die fortwährende Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochstehenden Gesundheitsleistungen zu geringen Preisen sicherzustellen. Nur ein solches regt zu einem effizienten Ressourceneinsatz an.
Bessere Qualität und erschwinglichere Preise – etwa von Medikamenten oder Therapien – können im Gesundheitswesen buchstäblich Leben retten. Ökonomische Effizienz bedeutet im Gesundheitswesen: Kranke müssen weniger lang auf eine gute Behandlung warten, leiden weniger Schmerzen und sterben seltener. Gerade weil die Gesundheit ein so wichtiges Gut ist, sollte sich nicht der Staat mit all seinen aus dem Zwang resultierenden Fehlanreizen, sondern der freie Markt darum kümmern.
Der Weg zur Effizienz
In einem liberalen Gesundheitssystem wären Gesundheitsdienstleister nicht mehr Bürokraten, die streng nach staatlichen Vorgaben «funktionieren», sondern Unternehmer, die sich um die Gunst der Kundschaft bemühen. Sie befänden sich in einem Wettbewerb um die beste Qualität, die kürzesten Wartezeiten, die höchste Transparenz, die besten Preise und um alle anderen Faktoren, die den Kunden sonst noch wichtig sind.
Dieser Wettbewerb würde Kreativität und Innovation genauso fördern, wie die Nachahmung bewährter Methoden und das Fallenlassen von zu teuren, ineffizienten und nutzlosen Behandlungsarten.
Die permanente Kostenexplosion, die ein Merkmal von Gesundheitswesen mit erzwungenem Drittzahler-System ist, kriegt man in einem marktorientierten Gesundheitswesen in den Griff. Die kollektive Verantwortungslosigkeit wird durch eine Betonung der Eigenverantwortung abgelöst. Kurz gesagt wird nur noch das konsumiert, wo der Nutzen höher ist als die Kosten. Das hat den Vorteil, dass so mehr Mittel für andere wichtige Bedürfnisse im Leben übrigbleiben und der ungesunde Kostenanstieg eingedämmt werden könnte.
Echte Solidarität statt Zwang
Was geschähe mit jenen, die sich keine Krankenversicherung leisten könnten und die dann eine teure Behandlung nötig haben? In solchen Fällen käme die echte, liberale Solidarität zu tragen. Natürlich dürfte es für diejenigen, die sich solidarisch zeigen, eine Rolle spielen, ob jemand selbstverschuldet oder nicht selbstverschuldet hilfsbedürftig geworden ist. Die Hilfsbereitschaft für Profiteure und Schlaumeier dürfte geringer sein als für Hilfsbedürftige, die ohne Schuld in Abhängigkeit geraten sind. Diese Anreize würden in Zukunft von den meisten antizipiert, sodass es unwahrscheinlicher wäre, dass jene Leute keine Versicherung abschliessen, die es sich finanziell leisten könnten.
Die Wiederherstellung der Freiwilligkeit würde viele Probleme des heutigen Gesundheitswesens lösen. Gäbe es keinen Zwang mehr, einen bestimmten Grundleistungskatalog zu versichern, würde ein echter Wettbewerb zwischen den Krankenkassen um die Gunst der Kunden entstehen. Je nach gewähltem Versicherungsmodell wären enorme Kosteneinsparungen denkbar.
Nachdem es nun Jahrzehnte in die falsche Richtung – nämlich in Richtung Zwangskollektivierung und Überregulierung – gelaufen ist, wäre es nun an der Zeit, sich wieder auf eine solide Ordnungspolitik zurückzubesinnen und sich von sozialistischen Illusionen zu verabschieden.
Olivier Kessler
Dieser Beitrag ist am 3. Juli 2024 in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen.