Für LI-Direktor Olivier Kessler braucht die Schweiz weniger Staat. Er befürwortet zudem den Austritt aus der WHO und den Abbau der Entwicklungshilfe, wie er im Interview mit der Handelszeitung erklärt. Nachfolgend ist das ganze Interview nachzulesen.
US-Präsident Trump will gemeinsam mit Elon Musk den Staatsapparat umbauen und Regulierung abbauen. Was halten Sie von diesen Plänen?
Ein aufgeblähter Staat ist nicht die Lösung, sondern das Problem. Deshalb habe ich für die Abbaupläne Sympathien. Wir müssen uns bewusst sein, dass die Leute, die unter dem Label «Staat» agieren, immer unter Androhung oder Anwendung von Gewalt handeln. Sie treiben Steuern unter Gewaltandrohung ein, zwingen uns Vorschriften auf und nötigen uns, ihr ständig an Wert verlierendes Geld zu verwenden. Staatsabbau heisst folglich zurückzukehren auf ein ethisch verträglicheres Miteinander, das mit weniger Zwang und Gewalt auskommt.
In welchen Aspekten ist dieses Vorgehen nachahmenswert?
In sehr vielen. Nehmen wir zum Beispiel den Austritt aus der WHO. Dieses Gremium will sich gerade mit der Kompetenz ausstatten, sich während Krankheitswellen zu einer Art Weltregierung aufzuschwingen. Da darf die Schweiz auf keinen Fall mitmachen. Oder nehmen wir die Aufdeckung der enormen Korruption unter dem Deckmantel der «Entwicklungshilfe», die in Wahrheit überhaupt nicht bei der Entwicklung hilft, sondern diese behindert. Auch die Schweiz sollte da dringend mit dem Rotstift dahinter. Oder schauen Sie sich nur einmal an, wie viele unnötige Bundesämter wir mittlerweile durchfüttern, die rein gar nichts zu unserem Lebensstandard beitragen. Da könnte man mit der Streichung zahlreicher Bundesämter viele positive Befreiungseffekte erzielen.
Welche Regulierungen würden Sie in der Schweiz als erstes streichen?
Einen grossen Teil der Verantwortung, weshalb es in der Schweiz seit Jahrzehnten in die falsche Richtung geht – nämlich in Richtung immer mehr Staat –, tragen jene staatlichen Institutionen, welche uns diese Agenda tagein tagaus aufschwatzen wollen. Diese Staatspropaganda in Form von staatlichen Medien, staatlicher «Bildung» und staatlicher Kultur will uns einreden, ohne den Staat und seine Bürokraten seien wir verloren, während sie die freie Marktwirtschaft verteufeln. Wo würde ich also ansetzen? Die Bildung, die Medien und die Kultur würde ich konsequent vom Staat trennen. Der entstehende Wettbewerb um die besten Produkte und die Wahlfreiheit der Einzelnen würden die Qualität und die Vielfalt in diesen Bereichen massiv erhöhen und die immer plumper werdenden Indoktrinationsversuche effektiver in die Schranken weisen.
Fallen Ihnen besonders kuriose Beispiele ein?
Die IG Freiheit zeichnet jedes Jahr kuriose Regulierungen mit dem Rostigen Paragraphen aus, die zum Haareraufen sind. Für mich ist allerdings jede Regulierung kurios, die sich nicht um den Schutz von Leib, Leben und Eigentum kümmert, sondern den Menschen vielmehr ein bestimmtes Handeln und einen bestimmten Lebensstil vorschreiben will. Das ist völlig deplatziert, weil der Staat die individuellen Abwehrrechte vor den Übergriffen des Kollektivs schützen und nicht selbst übergriffig werden sollte. Ein friedvolles Miteinander ist nur dann möglich, wenn man Vielfalt zulässt. Wohlstand kann nur gedeihen, wenn man den Unternehmern Luft zum Atmen lässt.
Wie steht die Schweiz im internationalen Vergleich puncto Regulierung da?
Das kommt immer darauf an, welche Bereiche man vergleicht. Nimmt man etwa die letzte Ausgabe des «Ease of Doing Business Index» der Weltbank, lag die Schweiz nur auf Rang 36. Vergleicht man unsere Medienpolitik mit Liechtenstein, das letztes Jahr die Zwangsfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschlossen hat, stehen wir mit unserem aufgeblähten Staatsfunk desaströs da. Vergleichen wir unsere staatlich verkorkste Bildungspolitik mit dem freien Bildungswettbewerb in Schweden und in Dänemark, machen wir ebenfalls keine gute Falle. Vergleichen wir unser semisozialistisches Gesundheitswesen mit dem Gesundheitssystem von Singapur, das auf Gesundheitssparkonti setzt, stehen wir bei gleicher Lebenserwartung punkto Ausgaben rund 3 Mal schlechter da. Es gibt also in unzähligen Bereichen noch sehr viel Luft nach oben. Natürlich machen wir relativ gesehen auch vieles gut, doch unter den Blinden ist auch der Einäugige König.
Welche Daten veranschaulichen die Folgen von zu hoher Regulierung?
Jedes Jahr verursachen Regulierungen in Schweizer Unternehmen Kosten in Höhe von insgesamt 10 Prozent des Bruttoinlandprodukts, wie eine Studie der KPMG vor 9 Jahren im Detail berechnet hat. Seither dürfte es aufgrund unzähliger neuer Gesetzestexte noch viel mehr geworden sein. Die staatlichen Zwangsinterventionen kosten uns also wohl über 100 Milliarden Franken pro Jahr! Ganz zu Schweigen von dem, was aufgrund staatlicher Eingriffe alles an Gutem verhindert worden ist.
Welche Länder halten Sie für vorbildlich?
Die USA und insbesondere Argentinien – nicht in ihrer derzeitigen Verfassung, aber in der kürzlich eingeschlagenen Richtung. Das Deregulierungsministerium in Argentinien bringt es aktuell auf rund sechs Deregulierungen pro Tag, wie Javier Milei im Januar am Event des Liberalen Instituts ausgeführt hat. Das bedeutet: Rund sechs schädliche Zwangseingriffe des Staates werden beseitigt oder abgedämpft, die den Leuten zuvor das Leben schwergemacht haben.
Welche sind Negativbeispiele?
Da gibt es viele. Deutschland ist ein ganz abschreckendes Beispiel, wie der Wohlstand für breite Massen durch ökosozialistische Spinnereien zunichte gemacht wird. Venezuela hat zuvor etwas ähnliches getan, als es vom reichsten Land Südamerikas zum sozialistischen Armenhaus geworden ist. Aber auch China entwickelt sich in eine bedenkliche Richtung. Nachdem sich das Land nach dem kommunistischen Desaster mit Millionen von Hungertoten zunächst in eine positive Richtung entwickelt hatte, indem es dem Privateigentum einen höheren Stellenwert einräumte, dreht man dort nun das Rad zurück und marschiert in Richtung einer dystopische Sozialkredittyrannei.
Haben Sie in den vergangenen Jahren auch positive Entwicklungen gesehen?
Die waren selten, aber es gab sie. Der Volksentscheid in Liechtenstein etwa, die Staatsmedien nicht mehr durch zwangsweise eingetriebene Gelder finanzieren zu wollen, könnten wir uns in der Schweiz zum Vorbild nehmen. Oder in Argentinien: Dort wurde im Dezember 2023 die Mietpreis-Bremse abgeschafft und Wohnungsregulierungen abgebaut. Das Angebot an Mietwohnungen stieg um beeindruckende 212 Prozent gegenüber dem Vorjahr, während die Mietpreise um durchschnittlich 26,6 Prozent fielen. Das zeigt einmal mehr: Regulierungen sind das Problem, nicht die Lösung.
Welche volkswirtschaftlichen Folgen hat die Regulierung in der Schweiz?
Wenn zwei Menschen vertraglich aus freiem Willen etwas miteinander vereinbaren, steigt der Wohlstand für beide. Denn niemand würde freiwillig einen Vertrag abschliessen, der ihm schadet. Regulierungen verhindern nun aber massenweise Vertragsabschlüsse, weil vieles nicht mehr möglich ist und weil viele Vertragsabschlüsse aufgrund der Regulierungskosten unprofitabel werden. Je mehr staatliche Regulierung es gibt, desto ärmer, unfreier und unglücklicher sind wir. Es ist auch in der Schweiz deshalb höchste Zeit für eine entschlossene Befreiung.
Eine gekürzte Version dieses Interviews ist in der Handelszeitung erschienen.